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BGH bejaht Aktivlegitimation einer Verbraucherzentrale aus abgetretenem Recht bei missbräuchlicher Verwendung abhanden gekommener ec-Karten

BGH bejaht Aktivlegitimation einer Verbraucherzentrale aus abgetretenem Recht bei missbräuchlicher Verwendung abhanden gekommener ec-Karten

  • 14. November 2006

Der Kläger, die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V., macht mit einer Sammelklage an ihn abgetretene Ansprüche von Kunden der beklagten Sparkasse geltend. Er begehrt die Auszahlung, hilfsweise die Wiedergutschrift von Beträgen in Höhe von insgesamt 13.543,58 €, die die Beklagte Konten ihrer Kunden belastet hat, nachdem entsprechende Abhebungen an Geldautomaten mit den Kunden zuvor entwendeten ecKarten, s-Cards oder Sparkassenkarten unter Verwendung der korrekten PIN-Nummer getätigt worden waren.

Die Parteien streiten darüber, ob die Verbraucherzentrale, die über keine Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz (RBerG) verfügt, aufgrund von Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG berechtigt ist, die an sie abgetretene Kundenansprüche geltend zu machen.

In der Sache zieht der Kläger die Sicherheit des ec-Kartensystems in Zweifel. Insbesondere macht er Mängel des von der Beklagten verwendeten Systems zur Verschlüsselung der PIN-Nummern geltend. Er wendet sich deshalb gegen die Annahme, angesichts der kurzen Zeiträume zwischen dem Verlust der Karten und ihrem erfolgreichen Einsatz an Geldautomaten spreche bereits der Beweis des ersten Anscheins für grob fahrlässige Verletzungen der Sorgfaltspflichten im Umgang mit der Karte und der PIN-Nummer durch die geschädigten Kunden.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, weil die Voraussetzungen des Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG nicht vorlägen. Daher seien die Abtretungen und der Kläger daher nicht zur klageweisen Geltendmachung etwaiger Kundenforderungen berechtigt. Da zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen in der Instanzrechtsprechung vertreten werden, hat das Berufungsgericht die Revision zugelassen.

Der XI. Zivilsenat des BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Abtretungen der Kundenforderungen sind wirksam, weil die gerichtliche Einziehung der Forderungen durch eine Verbraucherorganisation im Interesse des Verbraucherschutzes erforderlich ist, Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG.

Dies wird wie folgt begründet:

Die gerichtliche Einziehung fremder und zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen durch Verbraucherzentralen oder -verbände ist gemäß Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG im Interesse des Verbraucherschutzes erforderlich, wenn die Einschaltung der Verbraucherorganisation einem kollektiven Verbraucherinteresse dient und eine effektivere Verfolgung dieses Interesses ermöglicht als eine Individualklage. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn Umstände vorliegen, die den einzelnen Verbraucher von einer Individualklage abhalten können, wie etwa eine geringe Anspruchshöhe, unverhältnismäßig hohe Prozesskosten, ein besonderes Prozessrisiko oder erhebliche praktische Schwierigkeiten, den Anspruch durchzusetzen. Diese können sich z.B. aus der Person des Prozessgegners oder im Hinblick auf die Beschaffung der erforderlichen Informationen und Beweismittel ergeben.

Daher ist die Aktivlegitimation des Klägers hier zu bejahen. Die Frage nach der Sicherheit des Verschlüsselungssystems der Beklagten als Grundlage für die Beweislastverteilung beim Missbrauch entwendeter Kreditkarten betrifft nicht nur Belange des einzelnen Verbrauchers, sondern auch kollektive Verbraucherinteressen. Es liegen auch solche oben genannten Umstände vor, die den einzelnen Verbraucher von der gerichtlichen Geltendmachung abhalten können.

Die abgetretenen Einzelforderungen, die überwiegend in der Größenordnung von 500 € – 1.000 € liegen, sind zwar nicht besonders geringfügig. Sie stehen aber in einem Missverhältnis zu den voraussichtlichen Prozesskosten, insbesondere zu den Kosten eines wahrscheinlich erforderlichen Sachverständigengutachtens über die Sicherheit des Verschlüsselungssystems der Beklagten. Außerdem hat der Kläger eine bessere Marktübersicht und einen breiteren Zugang zu fachkundigen Informationen als der einzelne Sparkassenkunde und kann deshalb zu den technischen Einzelheiten der von ihm behaupteten Sicherheitslücken und zu parallel verlaufenden Schadensfällen besser vortragen.

Das OLG wird in der Sache festzustellen haben, ob das von der Beklagten verwendete Verschlüsselungssystem ein ausreichendes Sicherheitsniveau für die Anwendung des Anscheinsbeweises hat.

Die einschlägigen Vorschriften des Rechtberatungsgesetzes (RBerG) lauten auszugsweise:

Art. 1 § 1 (Behördliche Erlaubnis) Die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, einschließlich der Rechtsberatung und der Einziehung fremder oder zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen, darf geschäftsmäßig ohne Unterschied zwischen haupt- und nebenberuflicher oder entgeltlicher und unentgeltlicher Tätigkeit nur von Personen betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt ist.

§ 3 (Zulässige Tätigkeiten)

Durch dieses Gesetz werden nicht berührt:

… 8. die außergerichtliche Besorgung von Rechtsangelegenheiten von Verbrauchern und, wenn dies im Interesse des Verbraucherschutzes erforderlich ist, die gerichtliche Einziehung fremder und zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen von Verbrauchern durch Verbraucherzentralen und andere Verbraucherverbände, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, im Rahmen ihres Aufgabenbereichs;

-BGH vom 14. November 2006, Az. XI ZR 294/05-